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Flüsse in der spanischen Dichtung der Frühen Neuzeit, c. 1500-1700

Das Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der Funktion von Flüssen in der frühneuzeitlichen Dichtung Spaniens. Dabei soll untersucht werden, welche diskursiven Deutungsmuster, Mythologisierungen und Zeitentwürfe mit Flüssen speziell in lyrischen Texten des 16. und 17. Jahrhunderts verknüpft werden.

Betrachtet man die Situation auf der iberischen Halbinsel im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit, so fällt auf, dass Flüssen eine wichtige Rolle bei der Formierung des spanischen Territorialstaates zukommt. Die geografische Lage der Flüsse – mit Ausnahme des Ebro fließen alle großen Ströme eher in Ost-West-Richtung als in Nord-Süd-Richtung – begünstigte dabei zwei entgegengesetzte Tendenzen: einerseits erfolgte die christliche „Rückeroberung“ von Territorien zumeist von einer Flussgrenze zur nächsten; andererseits stellte die geografische Anordnung der Flüsse ein Hindernis für die politische Einheit dar, weil sie das Land in geografisch abgrenzbare Räume trennte. Für die Selbstwahrnehmung dieser Räume waren Flüsse von enormer Bedeutung, weshalb sie in der Dichtung der Frühen Neuzeit zumeist pars pro toto mit bestimmten Regionen identifiziert werden.

Je nach Raum und Zeit konnte die Bedeutung der einzelnen Flüsse stark variieren. Im Mittelalter bildeten die Flüsse bewegliche, d.h. verschiebbare (und damit fluide) Grenzen zwischen dem christlichen Norden und dem islamischen Süden. Nach dem Ende der Reconquista wurde das islamische Erbe jedoch weitestgehend ausgeblendet oder verschwiegen, was u.a. an der Namensänderung einzelner Flüsse (röm. Betis statt arab. Guadalquivir) sichtbar wird. Anhand von Flussräumen – so eine erste Hypothese – werden daher bevorzugt Fragen der kulturellen Identität verhandelt. Nach der Entdeckung Amerikas rückte Spanien von der Peripherie Europas ins Zentrum einer sich entwickelnden Weltwirtschaft. Auch hierbei spielten Flüsse eine entscheidende Rolle. Die Stadt Sevilla, die über den Guadalquivir mit dem Atlantik verbunden ist, wurde zum wichtigsten Verkehrsknotenpunkt im Handel mit den westindischen Kolonien. Über den Fluss gelangten neben Waren auch Unmengen an Gold und Silber nach Europa. In Spanien selbst blieb dieses Gold aber unproduktiv, weshalb der Fluss von zeitgenössischen Dichtern oft nur als ein Kanal beschrieben wird, durch den der Reichtum Spaniens in die übrigen europäischen Monarchien abfließt.

Mit der wirtschaftlichen stieg auch die kulturelle Bedeutung Spaniens im 17. Jahrhundert. Noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts erfolgte die Erneuerung der spanischen Dichtung nach dem Vorbild Italiens, was sich v.a. in der Übernahme italienischer Dichtungsmodelle (wie dem Petrarkismus) bemerkbar macht. Auffällig ist, dass viele Gedichte dieser Zeit den Fluss als Medium benutzen, um den Prozess der Aneignung des fremden Kulturguts poetologisch zu reflektieren. Gegen Ende des Jahrhunderts kommt es zu einer diskursiven Aufwertung der spanischen Flüsse, was auf ein gestiegenes kulturelles Selbstbewusstsein hinweist. In lyrischen Texten des 17. Jahrhunderts – so eine weitere Hypothese – rückt der Fluss verstärkt in den Dienst imperialer Hegemoniebestrebungen. Technische Flussprojekte (wie der Versuch Philipps II., die beiden Hauptstädte seines Reiches über den Tajo zu verbinden), zeugen von der politischen Bedeutung des Flusses für die Monarchie.

Im Forschungsprojekt gilt es genauer zu untersuchen, wie die vier großen spanischen Flüsse – Duero, Tajo, Guadiana und Guadalquivir – in der frühneuzeitlichen Dichtung Spaniens literarisiert werden, welche diskursiven Ordnungsmuster damit einhergehen und wie sich diese Ordnungsmuster im Zusammenhang mit der Herausbildung des spanischen Territorialstaates allmählich wandeln.